"Wie es damals in Deutschland abging", das würde er jetzt besser verstehen, zieht einer der Schüler im Publikum sein Resümee nach der Aufführung. Gemeinsam mit fast 150 anderen Schülerinnen und Schülern der Realschule und des Gymnasiums aus Schwelm hat er sich an einem Montagvormittag ein Theaterstück des Projektes "WertSchatz" im Jugendzentrum in Schwelm angeschaut. Ein besonderes Projekt, dass der Ennepe-Ruhr-Kreis zusammen mit dem Theaterspiel in Witten ins Leben gerufen hat, um Jugendlichen demokratische Werte näher zu bringen.
Mit "Damals" meint der Schüler die Zeit des nationalsozialistischen Regimes von 1933 bis 1945. Denn von dieser Zeit erzählt das Stück "ÜBERdasLEBEN oder meine Geburtstage mit dem Führer". Es erzählt von Anni, die bei der Machtübernahme der Nazis 9 Jahre alt war. Über ihre Familie und Freunde, und wie sie gemeinsam und zunächst noch unbeschwert Anni´s Geburtstage feiern. Doch mit den Jahren weicht die anfängliche Neugier auf die neuen Machthaber der brutalen Realität. Sandkasten-Freunde werden zu Feinden, der jüdische Musiklehrer wird aus der Schule gejagt und muss sich verstecken.
Annis Geburtstagesfeiern verlieren ihre Unbeschwertheit. Und ihre Gäste. Denn selbst Familienangehörige werden politisch verfolgt, inhaftiert und kehren nie zurück. Spätestens mit dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges geht es auch für Anni ums nackte Überleben. Mit viel Emotionen, schauspielerischen Talent und so manch einer Dilemma-Situation schafft das Ensemble es, die Schülerinnen und Schüler konstant mitzunehmen, zum Nachdenken anzuregen und Fragen zu stellen.
Einige können die Jugendlichen direkt im Anschluss bei einer Nachbesprechung mit den Schauspielern besprechen: Welcher politischen Partei gehörte Anni´s Vater an und warum wurde er inhaftiert? Wie habt ihr die Erlaubnis bekommen auf der Bühne den Hitlergruß zu zeigen? Und was haben die Nazis eigentlich mit Ausländern gemacht?
Beate Albrecht, die auf der Bühne Anni´s Mutter spielt, und das Stück selbst geschrieben hat, kann neben berührenden Zeitzeugen-Berichten auch mit knallharten Zahlen aufwarten: "In den zwölf Jahren des nationalsozialistischen Regimes verloren rund 80 Millionen Menschen ihr Leben. Darunter nicht nur Juden, sondern u.a. auch politisch Andersdenkende, beeinträchtigte Menschen, Schwule und Lesben oder Regimegegner".
Neben den Lehren der Vergangenheit liegt dem Team des Theaterspiels Witten auch am Herzen, eine Brücke in die Gegenwart zu schlagen. "In Zeiten, in denen rechtsradikales Gedankengut wieder ausgesprochen wird und damit Handlungen hervorruft, die unser demokratisches Miteinander angreifen und gefährden, ist die Geschichte hochaktuell. Aber auch aus der Gegenwart lässt sich lernen", so Albrecht.
In einem weiteren Theaterstück, welches ebenfalls im Rahmen des Theaterprojektes "WertSchatz" aufgeführt wurde, nahm sich das Ensemble dem Thema Mobbing an. In dem Stück "Der Neue" geht es um die Frage, warum ausgrenzendes Verhalten von der Mehrheit oft mitgetragen wird. Warum viele nur zusehen, wenn Unrecht geschieht, anstatt einzugreifen. Und wie eine gute Klassengemeinschaft mit Teamgeist etabliert und täglich umgesetzt werden kann.
Stichwort Theaterprojekt "Wertschatz"
Mit insgesamt zehn Vorstellungen ist das Theaterprojekt "WertSchatz" durch den Kreis getourt. In Kooperation mit dem mobilen Theaterspiel Witten konnte das Bildungsbüro des Ennepe-Ruhr-Kreises in den vergangenen Monaten zwei Theaterstücke für alle weiterführenden Schulen, Kommunen und kommunale Einrichtungen anbieten. Neben dem Blick in die NS-Geschichte wurde auch in die Alltäglichkeit einer dysfunktionalen Klassengemeinschaft geschaut, Mobbingstrukturen aufgedeckt und Mitläufertum auf den Grund gegangen. Gefördert wurde das Projekt durch die Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen für die Bekämpfung des Antisemitismus, für jüdisches Leben und Erinnerungskultur.
(Eine Pressemitteilung der EN-Kreisverwaltung)
Schwelm, den 12. Februar 2025